“Gespräch im Atelier”
von Luce Hoctin
Luce Hoctin: Jacques Delahaye, Sie sind einer der dynamischsten und “aggressivsten” jungen Bildhauer unserer Zeit. Wie definieren Sie selbst Ihren Werdegang?
Jacques Delahaye: Meine aktuellen Plastiken drücken keine Intention aus, die einer früheren zuwiderläuft. Ich habe immer nach Vorbildern aus dem Tierreich gearbeitet oder nach der menschlichen Gestalt. Meine augenblicklichen Versuche sind eine Festigung meiner Kenntnisse und Möglichkeiten und keine Verzettelung. Mein Problem ist es, mich einfach der menschlichen Gestalt zu nähern, auch Ballungen von menschlichen Körperteilen wie Armen, Beinen, Köpfen, Torsi. Das ist übrigens das Schwierigste; ich lechze danach, eine Figur zu machen ... Ich mache eine Plastik und denke dabei nur an das Werk, - nicht an eine Figur, die modern ist, oder um Geld zu machen, und ich versichere Ihnen, das ist mir das Wichtigste. Mein Hauptanliegen ist das Wiederaufgreifen von Themen, die Rodin und besonders Carpeaux, der Gruppierungen und Architekturen mit innerer Dynamik gemacht hat, nicht abschließend behandelt haben.
L.H: Sie sagen, nicht ohne Grund, daß Sie sich immer in erster Linie mit menschlichen Gestalten oder Tieren beschäftigt haben. Da gibt es ja in der Tat Ihre Büsten, Ihre Reiter, Ihre Katzen (1953, 54, 55) etc. Trotzdem hat Ihre Ausstellung von 1958 in Turin Sie in eine Linie mit dem Informel gestellt.
J.D.: Das war die gründliche Ausbeute eines Zyklus über die Geschwindigkeit, sozusagen eine Weiterführung von Katze, Reiter Nr.1, Nr.2, etc., dargestellt unter dem einzigen Aspekt der Figur in Bewegung. Aber diese Ausstellung bedeutete vielleicht auch das Scheitern dieser Versuche. Die Bewegung war zu entpersonalisiert. Die Gestalt wurde zur Sache, und zu einer nicht mehr faßbaren Sache. Ich habe mich nicht genug um die 3. Dimension gekümmert, die sehr schwer zu realisieren ist.
L.H.: Wie können Sie von einem Bildhauer sagen, er kümmere sich nicht um die 3. Dimension, da sich eine Skulptur logischerweise immer im Raum befindet?
J.D.: Ein Lineal auf einem Tisch, ein Senkblei befinden sich auch im Raum und sind noch lange keine Skulpturen. Im übrigen mißbraucht man heute das Wort “räumlich” ganz beträchtlich. Die 3. Dimension, das ist der Ausblick auf eine Sache, das bedeutet die richtige Distanz nehmen, die Tiefenwirkung beachten. Das schließt notwendigerweise die Kenntnis der Beziehungen der Massen untereinander und der Gesamtanlage ein. Mit der Skulptur befindet man sich in einer zweideutigen Welt: Das Problem der Volumina ist nicht das einzige, obwohl es sehr wichtig ist. Aber auch eine Beherrschung der Technik ist unumgänglich.
L.H.: Haben nicht gerade die Bildhauer eine Art Zweiteilung bewirkt: auf der einen Seite die Sorge um Volumen und Raum, auf der anderen um die Bedeutung des Werks auf den Menschen bezogen?
J.D.: Ja; aus einem ganz einfachen Grund: man denkt sich zuerst etwas aus, danach beeinflußt man den Geschmack dahingehend, etwas X-beliebiges zu akzeptieren. In Wirklichkeit sollte eine Skulptur “ohne Schnickschnack” sein, es sollte ein wirklich schlüssiges Werk sein. Im Übrigen experimentiert man heute mit einer Menge von Materialien, darunter auch vorgefertigten. Die wirkliche Aufgabe des Bildhauers ist das Bearbeiten des Tons. Das ist ein körperlicher Kampf mit dem Material. Das ist eine dauernde Wiederholung von 1000 Mißerfolgen und einem Erfolg. In dem Sinne ist eins interessant: man begibt sich an eine Arbeit, die man im Sinne hat. Alles Weitere ist das Streben, diese zu verwirklichen.
L.H.: Wie sehen Sie die Beziehungen zwischen Skulptur und Architektur, die heute an der Tagesordnung sind?
J.D.: Unter den augenblicklichen Bedingungen, - keine Möglichkeit. Im Übrigen ist das schon seit der Renaissance, ja sogar schon seit der Spätgotik beinah unvereinbar, obwohl man sich darauf versteift hat, das Problem immer wieder aufzugreifen. Der Skulptur Respekt zu verschaffen, würde von Seiten der Architekten eine eiserne Disziplin erfordern, andernfalls landet man bei einem Werk der Skulptur neben einem Werk der Architektur, bei einer reinen Gegenüberstellung heterogener Elemente. Man hat die Architektur einer Maschine angeglichen; man macht heute ein Haus wie einen Buick oder einen Kühlschrank. Die große Zunahme der Massen, die Überbevölkerung haben eine Architektur erforderlich gemacht, die nützlich ist, ohne sich um künstlerische Belange zu kümmern. Ein Haus, das ist eine bewohnte Maschine, wohingegen Kunst das Mäzenatentum voraussetzt und eine gewisse Pracht. Was die Architekten heute brauchen, sind nur Dekorationen zu Billigpreisen vom Meistbietenden ... . Was nichts zu tun hat mit dem Mäzenatentum der Großen und der Könige vergangener Jahrhunderte. Wenn jemand zu mir sagte: Monsieur Delahaye, machen Sie mir einen Brunnen - und mir 2 Millionen [alte Francs] anbieten würde, da brauchte man nicht 2 Millionen sondern mindestens 200 Millionen. Und in 10 Jahren könnten es noch mehr sein. Nein, all das ist vorbei ... . Ich betone noch einmal: die Frage Architektur - Skulptur ist heute die falsche Fragestellung. Es gibt nur noch Gegenüberstellungen, sonst nichts. Oder eingearbeitete Dekorationselemente.
L.H.: Was denken Sie von der Skulptur Ihrer Epoche?
J.D.: Wir sind in einer Epoche, in der die echten Bildhauer seltener sind als Sammlerstücke.
L.H.: Wie erklären Sie sich den Verlust der Liebe zur menschlichen Gestalt in der heutigen Zeit?
J.D.: All das ist schwierig zu realisieren. Drei gestaltete Einzelstücke, drei Figuren zu einer Skulptur zu vereinen, ist schwieriger als drei Klötze miteinander zu verbinden. Aber was man auch macht, man kann dafür Vertreter und Verteidiger finden.
L.H.: Welchen Stellenwert geben Sie den finanziellen Voraussetzungen?
J.D.: Sie sind nicht wirklich wichtig. Käufer gibt es immer, aber die Skulpturen, die man ihnen anbietet, sind schwach. Übrigens schadet die Reklame, die man für die Kunst macht, ihr selbst am meisten. Heute ist alles gut: man muß nur ununterbrochen Neues entdecken ... .
L.H.: Die wirtschaftliche Abhängigkeit legt dem Künstler aber doch Zügel an, das wissen Sie selbst sehr gut.
J.D.: Nein, ich lebe nicht mit Hilfe von ökonomischen Voraussetzungen. Es gibt nur eine Art, das Problem zu lösen und die besteht darin zu wissen, wie man eine echte Skulptur aufbaut. 1 kg Gips kostet 40 frs. Alle Welt kann sich das besorgen. Und es gibt Ausstellungen (sehr viele), die jedem offen stehen.
L.H.: Sie sprechen mit Unbefangenheit davon, vielleicht weil es Ihnen gelungen ist, eine Gießerei einzurichten. Warum haben Sie das Projekt verfolgt und realisiert?
J.D.: Ich wollte eine Gießerei haben, um die Verantwortung für meine Skulptur von A bis Z selbst zu haben. Ich glaube, daß das Feilen der Bronze genau so wichtig ist wie das erste Anrühren des Gipses und daß man das selbst machen muß. Man schickt eine Skulptur nicht zu einem Maßschneider. Ich arbeite mit dem Gießer und seinen Leuten zusammen. Ich bin die ganze Zeit dabei. Wir diskutieren alles. Einige Vorkehrungen werden gemeinsam vorgenommen. Von dem Augenblick an, in dem die Teamarbeit funktioniert, wird das Werk möglich, realisierbar. Das ist sehr wichtig. Die Skizze des Werkes wird ganz individuell entwickelt, aber die Verwirklichung erfolgt mit Hilfe von Spezialisten, die die Materialien kennen und auch das Gelingen von Skulpturen in großen Dimensionen erlauben. Wenn Rodin ein Tonmodell machte, wurde es am Abend vor Ort gegossen.
L.H.: Wie sehen Sie heute die Entwicklung der Skulptur?
J.D.: Ich bin nicht der Richtige, das einzuschätzen, da ich in meiner eigenen Entwicklung gefangen bin. Aber ich sehe die Skulptur sich hinbewegen zu einer großen Vereinfachung und zu einer beunruhigenden Verflachung.
L.H.: Trotzdem scheinen mir die heutigen Bildhauer sehr um die Problematik der Form besorgt zu sein.
J.D.: Wenn man von Formen spricht ... . Wo sind die Dianen von früher? ... Eine komische Epoche, in der man einen T-Träger für einen Michelangelo hält ... .
L.H.: Aber fühlen Sie sich gar keinem zeitgenössischen Bildhauer verbunden? Das “Barocke”, das Ihr Werk in seinem aktuellen Stadium charakterisiert, scheint mir in unserer Epoche nicht grundsätzlich isoliert zu sein.
J.D.: Tatsache ist, daß ich mich meinen Vorgängern näher fühle als meinen Zeitgenossen (außer Giacometti); mehr betroffen von den in der Schwebe gelassenen Problemen bei Rodin und Carpeaux, ich sagte es schon, als von aktuellen Problemen ... . Was mein ”Barockisieren” angeht, das entspricht einer bewußten Suche: etwa bei die Tür, die ich diesen Winter fertig gestellt habe, das ist die Darstellung einer Aktion, in der sich um die 60 Menschen und Tiere ineinander verkeilen, die vor einer Wassermasse davon stürzen - Reiteraufbruch und -zusammenbruch in einem ... .
L.H.: Zusammengefaßt ist Ihre Skulptur das Erforschen eines Ausdrucks von Leben in Bewegung. Ist sie nicht auch eine Reaktion auf bestimmte Beschränkungen der aktuellen Kunst, die - sehr oft - eine Kunst “des Details” ist?
J.D.: Ja, es sind Versuche, das Ganze darzustellen, aber alles das ist noch in der Vorbereitung ... und tritt nach und nach hervor.
L.H.: Sie haben immer eine sehr präzise Vorstellung des Aufbaus. Lassen Sie also Zufall oder Automatismus in der Skulptur nicht zu?
J.D.: Der Automatismus, das ist einer der Giftpilze dieses Jahrhunderts, eine Krankheit, die alles verseucht und uns eine der “hohlsten” Epochen erleben läßt, die es je gegeben hat.
L.H.: Zusammengefaßt: Sie sind trotz Ihrer Wertschätzung der Tradition ein Aufwiegler, ein “Junger Wilder” der Skulptur.
J.D.: Nein, nicht besonders. Ich bin kein systematischer Revolutionär. Aber welches aufrichtige und bewußte Kunstwerk steht nicht als Revolte gegen alles andere?
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