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Jacques Delahaye
17. Juni 1928 - 13. Mai 2010
Bildhauer

Manfred de la Motte
(wikipedia)

Text: “Delahaye” aus: Katalog der Neuen Galerie im Künstlerhaus München.
Ausstellung Dezember 1962 - Januar 1963.
(erneut veröffentlicht: Jacques Delahaye - Der Bildhauer. Kettler Kunst, 2006.
Herausgeber: Theo Bergenthal / Joachim Stracke)


“Delahaye”

von Manfred de la Motte

Der Aufbruch zur modernen Kunst geht weiter. Obwohl sich eine Art  Gegenwarts-Stil in Plastik und Malerei im Bewußtsein einer großen  Öffentlichkeit durchgesetzt hat, wird eben dieser sicherheitsgebende  Stilbegriff ständig durch die Arbeit von Künstlern verändert, die sich  nicht auf die gerade erst geschaffene Tradition verlassen, sondern - nach vorne gewandt - an einer Zukunft arbeiten, von der die Gegenwart  das Spiegelbild ist. Zu ihnen zählt Jacques Charles Delahaye, den man in Deutschland erst in wenigen Ausstellungen sah, obwohl er in allen  Nachschlagewerken über moderne Plastik zu finden ist. Seine Arbeiten  verursachen keinen Schock und entstehen nicht aus einer revolutionären  “Masche”.

Vom Titel her ist’s Mensch und Tier, also gegenständlich und womöglich  szenisch-abbildend (Reiterkampf - aber nur vom Titel her! Fast alle  Tierplastiken dieses Jahrhunderts, von Brancusi bis zu Marini, waren  Tier-Embleme, Reduktionen aufs Wesentliche, Abstraktionen vom Vielen,  Allgemeinen, zum Einzigen, Verbindlichen. Dieser Anspruch, etwa das Tier schlechthin zu präsentieren, fällt bei Delahaye fort. Und alle Titel  bei ihm sind Vorwand, weil er nicht gegenständlich bildhauert, sondern  nur sich selbst manifestiert. Seine berühmt gewordene “Katze” von 1952,  die man auf der II. Dokumenta sah, zeigt bereits sein Desinteresse an  Anatomie, Abbild oder symmetrischer Körperform. “Die Katze” ist eine  Abfolge von Strukturen, auf verschiedenartige Weise aus Bronze  gebildet, ein Ablauf zahlreicher Einzelheiten, die als Summe jene  sprunghafte Dynamik entstehen läßt, die den Titel rechtfertigt.

Nachdem jahrelang Plastik von Thematik oder Problematik bestimmt war, erscheint etwas Neuartiges, eine Unabhängigkeit von Programm und präfabrizierter  Konzeption; ja selbst die kontinuierliche Entwicklung innerhalb des  Werkes selbst entfällt. Je geringer die Bindungen eines Künstlers an  Tradition, Programm und Stil, umso größer die Notwendigkeit,  persönlichen Einsatz und Aktion auf relevante Weise zu aktivieren.  Delahayes Plastiken sind nicht mehr feste Form, weder fest im Sinne  eines blockhaften Volumens, wo plastische Kraft von innen nach außen in  den Raum hinein wächst, noch sind sie eigentlich Form, wenn man darunter ein plastisches Geschehen versteht, das durch den Umgebungsraum  definiert wird oder umgekehrt als eine Art Ausrufezeichen den Raum  definiert. Bei Delahaye ist nichts bestimmbar fest, aber auch nicht frei und unpräzise - weder Arp noch Calder standen Pate. Es fehlt weiterhin  das Fertige, das Vollendetsein und auch - wenn man es krass sagen darf - das Kunstwerkartige: Problemstellung und dessen brillante Lösung. Was  aber ist es, nach all den negativen Abgrenzungen?

Sein Tun ist Aktionsnachweis, zu skulpturhafter Form geronnen, zu  plastischem Geschehen erstarrt. Die Plastiken Delahayes sind  vielschichtig, diskontinuierlich und uneindeutig. Sie zeugen davon, wie Delahaye sich als Künstler der Welt stellt, und Antwort gibt auf alles, was ihn prägt. Schalenhaftes rundet sich um einen vermeintlichen Kern,  wächst knospenhaft-vegetativ oder blattartig zusammen und wird am  hemmungslosen Wuchern gehindert, das Material wird bisweilen geradezu  von seinen Händen “zerknittert” (Eduard Trier in seinem Buch “Figur und  Raum”) und bis zur Unkenntlichkeit verformt. Selten ist dem  Bronzematerial so viel abverlangt worden. Seine Plastiken sind ein  einziger und einzigartiger Prozeß; Vorgang mehr als statisches  In-sich-Ruhen. So entstand die Reihe der “Samurais”, voller Gespanntheit und kriegerischer Heftigkeit bis in die einzelnen Muskeln und  Formrundungen, bereit zu einem Gewaltakt, einem Ausbruch. Aber sie sind  wiedergegeben in einem Moment unheimlicher Ruhe, zu allem imstande und  so explosiv, daß man sich bei diesen Skulpturen - die sie gleichwohl  sind - wundert, daß sie eines Sockels bedürfen. Alles, was man bisher  bei Plastiken Masse und Volumen nannte, ist bei Delahaye Dynamik, in  eine bestimmte Richtung gelenkt. Und umgekehrt bildet sich aus  vielfältiger und auch gegenläufiger Dynamik eine ausgeglichene Ruhe, die zum Eindruck volumenhafter Masse wird. Die Bewegung ist total und so  konsequent, daß sie folgerichtig in ihr Gegenteil umschlagen kann.  Delahaye ist höchst expressiv, aber nicht als “Stil”, sondern als  Gebärde, als Haltung.

Das Kunstwerk ist durch Delahaye ein Prozeß geworden, dem der Betrachter  nachspüren muß. Die intensive Aufmerksamkeit des Publikums bildet mit,  die Plastiken sind Hinweise, sich mit den komplexen plastischen  Vorgängen zu beschäftigen, den schalenartigen Aufbau zu verfolgen, wenn  er ein Zentrum umkreist oder als Eigenwert zählt, oder etwa die  Einritzungen, Runen und Linien zu identifizieren und sie auf ihre  Trennungs- oder Verbindungsfunktion hin zu prüfen. Delahayes Plastiken  sind Partituren für ein aufmerksames Publikum, das aus ihnen Plastik als Erlebnis liest und auf diese Weise Anteil hat am Vorgang aktueller  Kunst.

 

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